Grabrede Hans Lederer
Liebe Grete!
Liebe Familie!
In der Parte in der Kleinen Zeitung habt ihr über Hans geschrieben: "Du warst für uns alle ein Vorbild!" Dieser Aussage kann ich mich, als Vertreter der Vinzenzgemeinschaft der Pfarre Graben, nur voll und ganz und aus tiefstem Herzen anschließen.
Die Caritas hat vor einigen Jahren einmal die Frage untersucht, welche Menschengruppe in einer Notlage am ehesten mit Hilfe aus der Bevölkerung rechnen kann. Das Ergebnis lautete, etwas überspitzt formuliert: "Bergbauernkinder nach einer Naturkatastrophe!" Dieser Personenkreis hat die größte Chance auf Hilfeleistung. Zwei Aspekte erklären diese Antwort. Einerseits ist es die große räumliche Distanz - der weit weg befindliche Bergbauernhof. Andererseits ist es die, ich nenne es einmal so, "die doppelte Unschuldsvermutung" - das junge unschuldige Kind und die unabsehbare und unabwendbare Naturkatastrophe. Je näher aber der Notleidende rückt und je höher der Grad der Selbstverschuldung an seiner misslichen Lage steigt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihm Hilfeleistung versagt bleibt.
Wie anders ist dazu die Einstellung der Vinzenzschwestern und Vinzenzbrüder. Ich darf ein paar Sätze aus den internationalen Grundsätzen der Vinzenzgemeinschaften zitieren und ich bitte euch, dabei das Bild von Hans vor Augen zu halten. Ich zitiere: "Keine Aufgabe der Nächstenliebe ist der Vinzenzgemeinschaft fremd. Ihr Wirken erstreckt sich auf jede Form der Hilfe, die in persönlicher Begegnung von Mensch zu Mensch gegeben wird. Sie lindert Not, sie wahrt die Würde des Menschen und bietet Hilfe zur Selbsthilfe.
Ihre Mitglieder helfen ohne Ansehen von Religion, Ideologie, Rasse und Kaste.
Arme werdet ihr stets unter euch haben. Ihnen zu dienen, nicht über sie zu richten, ist die Aufgabe der Schwester und des Bruders. Die Mitglieder der Vinzenzgemeinschaften wollen Zeugen der Liebe Christi sein durch ihre Solidarität mit den Ärmsten der Armen und in ihrem täglichen Leben." Zitat Ende.
All diese Grundsätze hat Hans in vorbildlicher Weise gelebt. Den Hausbesuch, einen ganz wichtigen Pfeiler in unserer Arbeit. Den direkten Kontakt mit dem Hilfsbedürftigen, ohne Unterschied. Mit der alten, hörbehinderten Frau genauso, wie mit dem jungen, alkoholkranken Arbeitslosen. Die alleinerziehende Mutter konnte genauso mit seiner Unterstützung rechnen, wie die afrikanische Großfamilie. Eine Kaufanschaffung hier, eine Reparatur dort. Hilfe bei der Übersiedlung ins Altersheim, oder wiederkehrende Entrümpelung einer massiv geruchsbelasteten Messiwohnung. Keine Aufgabe der Nächstenliebe war dem Vinzenzbruder Hans fremd.
Dabei kam ihm ein besonderes Talent zugute. Vor Jahren gab es einmal eine Fernsehserie namens "Mac Gyver". Wikipedia beschreibt den Titelhelden wie folgt: "Seine auffälligste Fähigkeit ist die praktische Anwendung der Natur- und Ingenieurwissenschaften und damit verbunden die kombinierte, erfinderische Nutzung alltäglicher Gegenstände." Besser könnte ich Hans sein Talent nicht beschreiben. Er konnte mit den wenigsten vorhandenen Utensilien, fast aus dem Nichts, äußerst praktische und nützliche Dinge zaubern und damit Hilfe leisten. Hans, der Mac Gyver unserer Vinzenzgemeinschaft!
Erwähnen möchte ich aber auch seine finanzielle Großzügigkeit. Ein Erlebnis ist mir dazu in bester Erinnerung. Als eine finanzielle Unterstützung einmal seitens der Vinzenzgemeinschaft unmöglich war, weil sie unseren budgetären Rahmen gesprengt hätte, hat Hans in seine eigene Tasche gegriffen und einer Familie einen namhaften Geldbetrag in Form eines Kredites zur Verfügung gestellt. Ich befürchte, dass nicht viele Raten den Weg zu Hans zurückgefunden haben. Doch damit hat Hans jedoch von Beginn an gerechnet, wie er mir selbst erzählt hat.
Unzählige Male habe ich Hans auf dem Heimweg von einem Hausbesuch getroffen, fast immer aus einer anderen Himmelsrichtung. So gibt es, glaube ich, keinen einzigen Straßenzug in unserer Pfarre, wo nicht zumindest eine Person lebt, die in irgendeiner Weise von Hans Hilfe erfahren hat.
Doch seine Hilfeleistungen waren keineswegs auf das Pfarrgebiet beschränkt. So fuhr Hans jahrelang, einmal wöchentlich, mehrere Supermärkte an, von denen er unverdorbene, aber bereits unverkäufliche Lebensmittel - da genügten z.B. schon geringste Farbflecken auf Obst und Gemüse - eingesammelt und in Form einer Hauszustellung an viele hilfsbedürftige Personen verteilt hat.
Die allererste Ausfahrt des Vinzibus fand am 01.12.1991 statt. Nicht ganz ohne Stolz weise ich auf den Umstand hin, dass sich seit dem Gründungsmonat, bis zum heutigen Tag, ein Team aus unserer Grabenpfarre an diesem Projekt der damaligen Jugend-vinzenzgemeinschaft Eggenberg beteiligt. Am Christtag des Jahres 1991, schon damals, wie heute noch unser Stamm-Tag, ein Mittwoch, bin ich, übrigens zusammen mit Uli Strohmayer und Alois Kölbl, zum ersten Mal durch Graz gefahren, um am Abend Bedürftigen unserer Stadt, heißen Tee und belegte Brote zu bringen. Und wieder war es für Hans eine Selbstverständlichkeit, als er sich zur Mitarbeit bei unserer Vinzenzgemeinschaft entschlossen hat, auch diesen Dienst zu übernehmen. So ist es in vielen Jahren und in unzähligen Ausfahrten, meist mit Inge Tiran, oder dem Ehepaar Lapanje, für Hans zu Begegnungen mit Grazer Obdachlosen oder sonst Bedürftigen gekommen. Nicht immer ist es der Hunger, der diese Menschen zum Vinzibus treibt. Oftmals ist es für sie der einzige soziale Kontakt, den sie am Tag erleben. Und wieder ist es die persönliche Begegnung - "face to face", wie man heute dazu sagen würde. Egal, wie dieser Mensch aussieht, egal, wie er riecht, egal, welche Lebensgeschichte er hinter sich hat. Hier kommt mir das religiöse Kinderlied in den Sinn, dessen Refrain lautet: "Von Mensch zu Mensch eine Brücke bau'n, dem/n ander'n in die Augen schau'n, in jedem Menschen Jesus seh'n und nicht an ihm vorübergeh'n."
Doch noch immer nicht genug, muss doch der Einsatz unseres Vinzenzbruders Hans für die Menschen unserer Partner-Gemeinschaft in Rumänien, der Vinzenzgemeinschaft Sankt Peter und Paul in Bukarest, gewürdigt werden. Mit unglaublichem Engagement hat sich Hans, vor allem in der Zeit, in der er als Obmann die Geschicke unserer Gemeinschaft gelenkt hat, einerseits für die alljährliche Ferienaktion stark gemacht, indem er dafür Geld gesammelt hat, um so rumänischen Kindern eine Ferienwoche zu ermöglichen. Ein Kind hat einmal in einem Dankschreiben den Satz formuliert: "Das Schönste an dieser Woche war, dass ich mich jeden Tag satt essen konnte!" Darüber hinaus hat Hans jährlich einen Warentransport nach Hartberg organisiert, von wo aus ein großer Sammeltransport nach Rumänien abgegangen ist. Die Waren dazu hat er in seiner Garage gesammelt und zwischengelagert. Da war kein Platz mehr für ein Auto! Einmal war es sogar, wenn ich mich richtig erinnere, eine fast vollständige Einrichtung eines Turnsaals, oder Klassenzimmers, von dessen Erneuerung Hans erfahren hatte.
Woher Hans die Kraft und die Energie für all diese Tätigkeiten genommen hat, kann ich nur vermuten. Es werden zwei Kraftquellen gewesen sein.
Einmal die feste Verankerung in seiner Familie. So sage ich an dieser Stelle auch herzlichen Dank Dir, liebe Grete, und Deiner ganzen Familie. Denn ohne euer Verständnis, eure Unterstützung und euren Rückhalt, hätte Hans nie all das für unsere Vinzenzgemeinschaft leisten können. Ein besonders herzliches Danke sage ich euch auch für euer Zeichen der Wertschätzung unserer Arbeit gegenüber, da ihr anstelle von Kranz- und Blumenspenden um eine Spende für unsere Vinzenzgemeinschaft gebeten habt. Danke dafür!
Eine große Kraftquelle war aber sicher sein unbändiges Gottvertrauen. Das ehrliche Bekenntnis zur Nachfolge Jesu. Das Ernstnehmen der Worte: Ich war hungrig und durstig und ihr habt mir zu essen und zu trinken gegeben. Ich war einsam und ihr habt mich besucht. Ich musste ins Heim übersiedeln und ihr habt mir dabei geholfen. Ich war in einer großen Notlage und ihr habt mich finanziell unterstützt. Ich wollte auch einmal eine Kinderferienwoche erleben und ihr habt mir das ermöglicht. Was ihr einer meiner Schwestern, oder einem meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
Vom Heiligen Vinzenz, der neben dem Männerorden der Lazaristen, auch den Orden der Töchter der Christlichen Liebe, die heutigen Barmherzigen Schwestern, gegründet hat, ist folgende Geschichte überliefert: Er wurde von einer Schwester gefragt, ob sie einen Gottesdienst verlassen dürfe, wenn ein Armer an die Türe klopft. Und Vinzenz soll geantwortet haben: "Schwester, hast Du mich noch immer nicht verstanden. Wenn Du Dich in einem Gottesdienst befindest und ein Armer klopft an die Tür und Du gehst hinaus, um ihm zu helfen, dann gehst Du ja nicht weg vom Gottesdienst. Du gehst nur von einem Gottesdienst zum anderen." Armendienst ist Gottesdienst. Dieses Zitat des Heiligen Vinzenz ist auch der Titel Wolfgang Puchers Zeitschrift der Vizenzgemeinschaft Eggenberg.
Seit Jahren trage ich bei Begräbnissen diese festlich, weiße Krawatte. Ich nenne sie Auferstehungskrawatte. Ich halte es mit den bekannten Worten Martin Gutls und bin der festen Überzeugung ihrer Richtigkeit: "Wenn Gott uns heimführt, das wird ein Fest sein!"
Nach diesem erfüllten Leben kann Hans nur mit einem Fest und offenen Armen erwartet werden. Lieber Hans! Danke für alles, was Du für unsere und im Namen unserer Vinzenzgemeinschaft geleistet hast! Und, danke für Dein Vorbild!